"Wir bringen junge Menschen in Sozialberufe"

Um dem Mangel an Fachkräften in Pflege- und Betreuungsberufen entgegenzuwirken und junge Menschen für einen Beruf in diesem Bereich zu gewinnen, wird im AusbildungsFit seit Anfang 2024 der Übungsbereich „Sozialbegleitung“ von Trainerin Gabriele Erne umgesetzt.
Dieser Übungsbereich bietet den Teilnehmer:innen die Möglichkeit, sich in theoretischen Einheiten näher mit einem Sozial- oder Pflegeberuf auseinanderzusetzen. Zusätzlich erhalten sie die Möglichkeit, praktische Erfahrungen in verschiedenen sozialen und pflegerischen Institutionen zu sammeln.
Wir sprechen mit der 16jährigen Tuana und mit Trainerin Gabriele Erne über ihre Erfahrungen.
Tuana, du hilfst jede Woche bei der Essensausgabe von Tischlein Deck Dich. Erzähle uns von dir.
Ich bin bei INTEGRA und arbeite in der „Sozialbegleitung“ mit. Ich wollte immer etwas Soziales mit Kindern machen, also suche ich eine Lehre in diesem Bereich.
Du möchtest also etwas mit Kindern machen. Was hältst du von einer Kindergartenschule?
Dafür müsste ich bessere Noten haben. Weil ich die nicht habe, möchte ich eine Ausbildung zur Kindergartenhelferin machen. Ich habe dort bereits geschnuppert und es gefällt mir. Ich muss dafür aber 18 Jahre alt sein. Also habe ich mir gedacht: Wenn ich drei Jahre lang eine Lehre mache, dann bin ich 19 und kann danach die Ausbildung machen.
Bis dahin hilfst du unter anderem beim Projekt „Tischlein Deck Dich“ mit. Erzähle uns davon.
Wir kommen jeden Dienstagnachmittag zusammen und helfen bei der Essensausgabe. Dazu haben wir unterschiedliche Bereiche: Die Brotabteilung und die für Grundnahrungsmittel wie Salz, Mehl, Nudeln und so weiter. Dann haben wir Obst, Gemüse, Gefriersachen und Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch und Milchprodukte. Außerdem haben wir Getränke, vegane Produkte, Wurst und ein wenig Fisch. Zum Schluss kommt noch etwas Süßes.
Wir werden jede Woche woanders eingeteilt. Wenn man mit Menschen klarkommt, geht das gut. Wir haben auch zwei Securities. Wenn wir Probleme haben, dann kommt gleich Achmed– er kann das echt gut.
Gibt es sprachlich manchmal Probleme?
Also wenn wir uns nicht verständigen können, erklären wir es mit Händen und Füßen. Da ich Türkin bin, kann ich bei manchen türkisch reden. Wir haben auch Anna, die kann kurdisch. Wenn man mehr Sprachen kann, dann geht es einfacher. Englisch können viele, darum reden wir das oft. Mit der Sprache haben wir manchmal trotzdem große Probleme, weil sie sich nicht ausdrücken können. Dann reden sie in ihrer Sprache auf uns ein, zum Beispiel auf Griechisch. Aber das verstehen wir halt nicht.
Ich bin jetzt vier Monate in der Sozialbegleitung und jedes Mal irgendwo anders. Ich kann sehr gut mit Menschen kommunizieren und sage offen, ob etwas passt oder nicht.
Wie ist der Ablauf bei der Ausgabe?
Ganz am Anfang können die Leute eine Karte bei der Gemeinde holen. Diese hat ein Limit für Bekleidung und Essen. Am Eingang bezahlen sie pro Erwachsenen zwei Euro und pro Kind einen Euro. Und dann schreiben sie die Anzahl der Personen auf die Karte. Wir checken das und geben die Mengen so aus, damit es für alle reicht. Da kommen nämlich acht Gruppen - jede halbe Stunde eine neue.
Ganz zum Schluss haben wir noch eine Veganabteilung und das Tierfutter.
Zu uns kommen viele Kinder mit ihren Eltern. Sie kommen mit dem Bus oder mit dem Zug. Man trifft viele unterschiedliche Kulturen, hört viele Sprachen und trifft verschiedene Charaktere. Eigentlich gefällt es mir bei Tischlein Deck Dich voll gut. Ich kenne auch schon viele Menschen, die bei uns Essen kriegen. Es gefällt mir, dass ich etwas Gutes für die Menschen tun kann.
Welche Erfahrungen habt ihr mit den Leuten gemacht?
Natürlich gibt es manchmal auch Konflikte. Sie dürfen die Ware zum Beispiel nicht anfassen. Sie sagen uns, was sie wollen und wir geben es ihnen. Vorletztes Wochenende habe ich gesehen, wie eine Dame versucht hat, sich die Dinge selbst zu nehmen. Ich habe ihr das erklärt und wir haben eine Lösung gefunden. Mit Konflikten kann ich durch diese Arbeit gut umgehen.

Gaby, du bist Trainerin der Sozialbegleitung. Erzähle uns doch mehr über das Projekt.
Die Sozialbegleitung gibt es seit Jänner 2024. Mitte Februar sind die ersten Jugendlichen in den Übungsbereich gekommen. Bis dahin habe ich Inhalte und Informationen für die Jugendlichen gesammelt.
Dann haben wir gestartet. Zuerst mit zwei Jugendlichen, die aber schnell mehr wurden. Dann habe ich mit ihnen die ersten Exkursionen in Pflegeheime und ins Brockenhaus gemacht. Und dann haben wir Tischlein Deck Dich entdeckt. Nach ein paar Versuchen hat sich das schnell etabliert. Jeden Dienstagnachmittag sind wir bei ihnen.
Im Mai haben wir das erste Mal im Sozialzentrum Satteins-Jagdberg angefragt, ob wir bei der Betreuung mithelfen dürfen. Die Jugendlichen spielen am Mittwochnachmittag mit den alten Leuten und machen – begleitet von einer Pflegehelferin oder einer Pflegerin - Aktivierungsübungen mit ihnen. Das passt auch gut. Da sind wir immer am Basteln, um Spiele für sie herzustellen, die wir dann mitnehmen können.
Wie nehmen die Kids das an?
Ein Jugendlicher hat von uns ins SOB (Schule für Sozialbetreuungsberufe) gewechselt und hat ein Praktikum bei der Lebenshilfe gemacht.
Die Kids sind sehr gut aufgestellt und motiviert und ich finde es toll, wenn sie eine eigene Meinung haben. Aus unseren Diskussionen bringt man viel über sie in Erfahrung. Und natürlich kann man dabei auch viel weitergeben.
Und was ist das Ziel dieses Übungsbereichs?
Wir wollen Jugendliche in Pflegeberufe begleiten und ihnen eine Orientierung hinsichtlich der Möglichkeiten in dieser Sparte bieten. Sie bekommen von uns einen Überblick über die Anbieter und deren berufliche Möglichkeiten.
Es geht auch darum, zu lernen, wie man mit den Leuten umgeht, auch was die Kommunikation anbelangt. Von dem her ist Tischlein Deck Dich auch sehr gut, weil sie dort lernen, mit vielen verschiedene Nationen umzugehen und mit ihnen zu kommunizieren. Da müssen sie aus ihrem Schneckenhaus herauskommen und Neues ausprobieren.
Aber grundsätzlich ist es schon das Ziel, dass man sie in den Pflegeberuf bringt. Wir gehen im SOB auch zum „Tag der offenen Tür“ und schauen uns die Kathi-Lampert-Schule an.
Im SOB sind Sozialpflegeberufe wie die Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und die Familienhilfe angesiedelt. Die Betreuung (z.B. Behindertenbetreuung) ist mehr in der Kathi-Lampert-Schule zu finden. Diese beiden arbeiten aber eng zusammen und man kann auch wechseln.
Hast du das Gefühl, die Jugendlichen haben mehr Interesse an Sozialberufen?
Einzelne, vor allem Mädchen, möchten in den Kindergarten gehen. Sie können auch ohne Matura die Kindergartenassistenz in Feldkirch erlernen. Die Schwierigkeit ist jedoch, dass die Anbieter alle wollen, dass die Auszubildenden 18 Jahre alt sind, um Kinder betreuen zu dürfen. Darum dürfen unsere Jugendlichen aus der Sozialbegleitung dort auch nicht schnuppern gehen.
Die jungen Leute sind aber meist flexibel und probieren dann andere Bereiche wie die Altenpflege aus. Dann kommen sie drauf, dass das auch „coole Berufe“ sein können.
Die Arbeit mit Kindern kann nämlich sehr herausfordernd sein. Es geht hier um mehr, als den ganzen Tag nur zu spielen. Da kommt noch viel dazu, wie zum Beispiel die Elternarbeit. Das ist im Altenpflegebereich nicht so der Fall. Da hast du zwar auch Angehörige, aber der Kommunikationsaufwand mit ihnen ist um einiges geringer.
Auch bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen gibt es viele Unterschiede. Ob ich jetzt in einer Lebenshilfe in die Werkstatt gehe oder ins Schulheim Mäder, das macht einen großen Unterschied. Jetzt waren wir einmal im Brockenhaus und demnächst sind wir im Schulheim Mäder. Ich bin gespannt, was sie nach dem Besuch im Schulheim Mäder sagen, da dort wieder andere Herausforderungen auf sie warten.
Was genau ist Deine Aufgabe?
Ich sehe unsere Aufgabe unter anderem darin, ihnen zu zeigen, dass die Arbeit in Sozial- und Pflegeberufen sehr schön sein kann. Man muss es aber zulassen. Wir wollen ihnen die Angst vor solchen Begegnungen nehmen.
Im Pflegeheim geht es schon gut. Dort haben sie die Berührungsängste gut abgebaut und haben gelernt, zwischen persönlicher Nähe und erforderlicher Distanz zu unterscheiden. Da sind auch viele Menschen mit Demenz, mit denen es nicht immer einfach ist. Diese können plötzlich mit dir schimpfen und sie wissen es einfach nicht mehr. Die Kids lernen zu verstehen, dass es nicht an der Person liegt, sondern an der Krankheit. Eine unserer Hauptaufgaben ist es somit, Ängste abzubauen und ein Verständnis für den Menschen an sich zu schaffen.
Das alles kann jedem passieren, sei es durch einen Unfall oder eine Krankheit. Durch irgendetwas im Leben kannst du plötzlich im Rollstuhl sitzen oder geistig beeinträchtigt sein. Es ist nicht von vornherein gegeben, dass ich immer gesund durchs Leben gehen kann. Dazu gibt es innerhalb der Familie oft Beispiele, wo sie das miterlebt haben. Ich will, dass sie das verstehen. Das ist mir viel wichtiger, als etwas auswendig zu lernen. Erst, wenn sie dieses Verständnis haben, können sie einen Schritt weiter gehen.
Natürlich gehören im Altersheim Tod und Trauer auch dazu. Über Weihnachten sind einige ältere Menschen gestorben, die wir aktiviert und mitbetreut, mit denen wir gespielt haben. Plötzlich waren sie nicht mehr da. Wir helfen den jungen Menschen dabei, das aufzuarbeiten. Das ist der natürliche Lauf der Dinge.
Manchmal ist es auch gut, dass Menschen gehen dürfen. Tod und Trauer ist ein hartes Thema, aber auch da müssen sie durch.
Dein Job ist also sehr vielseitig?
Ja, es geht mir immer um zwei Ebenen: Das Begleiten durchs Leben und das Begleiten in den neuen Lebensabschnitt. Ich will aufzeigen, was möglich ist. Dabei bin ich die Beobachterin und schaue, wie sie miteinander umgehen. Mobbingerfahrungen haben relativ viele von ihnen – das muss man gleich unterbinden.
Da kommt mir meine Ausbildung als Mediatorin zugute, um das gleich im Ansatz abzufangen. Mir ist wichtig, dass sie auf ihre Wortwahl achten. Ich will nicht, dass sie sich beschimpfen oder Kraftausdrücke benutzen. Man muss nicht gleich abschätzig miteinander umgehen. Wenn sie das verstanden haben, denke ich, haben sie schon viel erreicht.
